Was wir sagen – und was wir tun.
Nachdem in den letzten Wochen wieder deutlich wurde, wie wichtig und wie zerbrechlich unsere Demokratie ist, haben wir einen Text herausgekramt, den wir anlässlich der „Nie wieder ist jetzt!“-Bewegung im Januar 2024 verfasst haben. Damals fanden Kundgebungen statt, um ein Zeichen dafür zu setzen, dass die Mehrheit der Bevölkerung eine würdevolle und solidarische Behandlung aller Menschen wichtig findet – egal, welche Religion, welche Traditionen oder welche Abstammung die anderen Menschen haben. Denn in Deutschland ist alles erlaubt, was nicht die Würde, Freiheit und Gleichheit von anderen Menschen beeinträchtigt.
Bedeutet das aber nicht auch, dass wir genauso jene Menschen mit Respekt behandeln sollten, deren Handlungen gegen diese Prinzipien verstoßen? Und machen wir uns nichts vor: jede*r von uns handelt mindestens ab und zu auf eine Art, die weniger respektvoll ist, als sie sein könnte – ganz besonders, wenn wir unzufrieden mit anderen Menschen oder unserer Lebenssituation sind. Auch bei Demonstrationen für Vielfalt und Demokratie können wir viel „Luft nach oben“ erkennen. Lest dazu unsere Gedanken anlässlich des Besuchs einer Kundgebung in Mannheim am 27.01.2024:
Liebe Mitmenschen,
großartig, dass sich in den letzten Wochen so viele von euch zu Kundgebungen und Demonstrationen aufgemacht haben, um zu zeigen, dass ihr euch eine Gesellschaft wünscht, in der ganz unterschiedliche Menschen in Freiheit und Gleichberechtigung zusammenleben können. Auch wir von der Initiative Wertschätzung (er)leben haben in Mannheim an der letzten Kundgebung für Vielfalt und Demokratie teilgenommen und uns über die vielen bunten und friedliebenden Reden, Lieder und Schilder gefreut.
Und trotzdem: ein ganz gutes Gefühl hatten wir dabei nicht. Denn es gab auch viele Schilder und Plakate, deren Worte uns erschreckt haben. Wir haben aufgeschrieben, was auf diesen Schildern stand, und das kam dabei heraus:
„Rassistenpack“
„Menschenrechte statt rechte Menschen“
„Huck Föcke“
„Ich mag Nazis generell nicht“
„Wenn die AFD die Antwort ist, wie dumm war dann die Frage“
„FCK AFD“
„Alle meine Kerl:innen hassen Nazis“
„Ihr gehört abgeschafft“
„Nazis Nein Danke“ + Mülltonnenbild
„Das B in AFD steht für Bildung“
„Ich könnte auch auf dem Sofa liegen, aber wegen euch Idioten stehe ich jetzt hier!“
„AFDler stinken, weil sie braun sind“
„Komm AFD, halt’s Maul“
„Nazis deportieren“
„Nazis töten“
Was stört uns an diesen Sprüchen?
Sie sind wenig wertschätzend, verständnisvoll, geschweige denn fair oder zumindest höflich gegenüber Mitmenschen, die die AFD wählen, ihr angehören oder von den Schildträger*innen als „Nazis“ betrachtet werden. Stattdessen werden diese Personen beschimpft, in die Schublade „ungebildet“ oder „gewalttätig“ gepackt und es wird dafür plädiert, diese Menschen grundsätzlich zu hassen und aus unserer Gesellschaft auszuschließen oder gar zu entsorgen. Dabei werden oft die Menschen, und nicht etwa bestimmte Äußerungen oder Handlungen, als „rechts“ und unerwünscht verurteilt, statt Verhalten und Mensch zu trennen (z. B. wenn von „braunen“ oder „rechten“ Menschen geredet wird – Danke hingegen an die Person, die sich für „braune Gesinnung“ entschieden hat).
Vielleicht hattet auch ihr schon einmal ein ungutes Gefühl bei solchen Schildern? Kennt ihr noch weitere Sprüche, die ihr z. B. auf Demonstrationen für Frieden, Vielfalt und Demokratie entdeckt habt, und die ihr gar nicht tolerant oder sogar abwertend fandet? Die Menschen in ungeliebte Schubladen stecken oder Gewalt gegen Andersdenkende gutheißen? Dann schreibt sie gern in die Kommentare.
ALSO: Kann das der richtige Weg sein? Ist es nicht genau das, was wiederum wir den AFD-Sympathisant*innen vorwerfen, vom Inhalt her und auch von den Wörtern und Formulierungen? Und ja, einige der Sprüche sind wahrscheinlich Wortspiele (z. B. „Nazis töten“) bzw. nicht so gemeint (z. B. „Huck Föcke“), oder zumindest nicht so ernst gemeint – aber das steht auf diesen Plakaten NICHT.
DARUM: Lasst uns uns auch auf Demos so verhalten, wie wir uns wünschen, dass sich AFD-Sympathisant*innen uns selbst und z. B. Menschen mit Migrationshintergrund gegenüber verhalten: Lasst uns Taten (z. B. Wahlentscheidungen) als unerwünscht beurteilen – nicht Menschen.
Lasst uns allen Menschen das Beste wünschen und ihnen das Beste zugestehen – auch wenn sie ganz anders aussehen, denken oder handeln als wir.
Lasst uns diesen Menschen gegenüber höflich und verständnisvoll unsere eigenen Meinungen, Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken.
Lasst uns zuerst auf uns selbst schauen, statt das Handeln oder Dasein anderer Menschen für unsere Schwierigkeiten und Unzufriedenheit verantwortlich zu machen.
Lasst uns versuchen, uns in andere hineinzuversetzen und auch ihre Meinungen, Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und als menschlich anzuerkennen.
Lasst uns nach Hilfe suchen, wenn uns der Hass oder die Angst vor einer bestimmten Zukunft oder vor bestimmten Menschengruppen überwältigt.
Dass wir unserem Ärger und Unverständnis, unserer Angst oder Hilflosigkeit mit abwertenden Sprüchen Luft machen, DAS MUSS NICHT SO SEIN. Deshalb haben wir hier auch die Sprüche gesammelt, die uns mit Toleranz, Freiheit, etc. für alle (kurz: mit Menschenrechten) vereinbar scheinen und die Menschenwürde aller Menschen wahren – also u. a. auch die der AFD-Sympathisant*innen.
„Deutschland ist bunt“
„AFD: A=Aus F=Für D=Demokratie“
„Wir lieben bunt. Vielfalt, Demokratie, Toleranz.“
„Nie wieder 1933“
„Weißt du, was du da wählst?“
„Gegen Hass und Ausgrenzung“
„Verfassungsgericht vor AFD schützen. Richterwahl ins Grundgesetz schreiben.“
„Liebe statt Hass“
„Demokratie und Vielfalt erhalten“
„Rassismus ist keine Alternative“
„Solidarität ist unsere Stärke“
„Freiheit für alle, Frieden für alle, Sicherheit für alle“
„Braune Haut ist schön. Braune Gesinnung ist Gefahr.“
„Wir können was dafür, wenn wir nichts dagegen tun.“
„Eine Menschheit – eine Erde“
„Menschlichkeit, Solidarität, immer“
Herzlichen Dank, liebe Mitdemonstrierende, für diese menschenfreundlichen Protestschilder!
Vielleicht findet ihr hier Inspiration für eure nächsten Plakate oder Posts? Geht mit gutem Beispiel voran und setzt ein Zeichen für wertschätzende, gewaltfreie Kommunikation bei Kritikäußerungen und Konflikten – auch damit schützt und fördert ihr unsere demokratischen Werte. Und um mit einem Dalai Lama-Zitat zu enden: „Gerade in unserer Zeit ist es notwendiger denn je, unsere natürliche Veranlagung zur Güte zu pflegen und zu verstärken.“ Denn: Nie wieder ist jetzt!